Hier betrachtet Kant den Beweis vom Dasein Gottes, fragt, ob diesem Ideal Realität verschafft werden könne. Der ontologische Beweis geht vom absoluten Begriffe aus, schließt aus dem Begriff auf das Sein; es wird Übergang zum Sein gemacht: so bei Anselm, Descartes, Spinoza; alle nehmen Einheit des Seins und Denkens an. Kant sagt aber: diesem Ideal der Vernunft kann ebensowenig Realität verschafft werden; es gibt keinen Übergang von dem Begriff in das Sein, aus dem Begriff kann das Sein nicht abgeleitet werden; "Sein ist kein reales Prädikat" wie ein anderes, "ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könnte ... . Hundert wirkliche Taler enthalten nicht das mindeste mehr als hundert mögliche", sind derselbe Inhalt, d. h. der Begriff; sie sind auch hundert. Das eine ist der Begriff (Vorstellung), das andere der Gegenstand. Sein ist nicht eine neue Bestimmung des Begriffs, die hinzukommt; sonst enthielte mein Begriff von hundert wirklichen Talern etwas anderes als wirkliche hundert Taler. Allein der Gegenstand ist, als wirklicher, nicht bloß in meinem Begriffe enthalten; oder zu meinem Begriffe kommen die wirklichen hundert Taler synthetisch hinzu. - Aus dem Begriff kann also nicht auf das Sein geschlossen werden, weil das Sein nicht im Begriffe liegt, sondern zum Begriffe hinzukommt. 'Wir müssen aus dem Begriff herausgehen, um zur Existenz zu gelangen. Für Objekte des reinen Denkens ist kein Mittel, ihr Dasein zu erkennen, weil es a priori erkannt werden müßte; unser Bewußtsein aller Existenz aber gehört ganz und gar zur Erfahrung.' D. h. gerade jene Synthese des Begriffs und des Seins oder die Existenz zu begreifen, d. h. sie als Begriff zu setzen, dazu kommt Kant nicht. Existenz bleibt ihm ein schlechthin Anderes als ein Begriff. Der Inhalt ist derselbige im Existierenden und im Begriffe. Da das Sein nicht im Begriff liegt, so ist der Versuch, es aus ihm abzuleiten, nichtig.
Allerdings liegt nicht positiv im Begriff die Bestimmung des Seins; er ist ein Anderes als Objektivität, Realität. Das Andere liegt nicht fertig in ihm; und bleiben wir bei dem Begriff stehen, so bleiben wir beim Sein als dem Anderen des Begriffs stehen. Wir haben die Vorstellung und eben nicht das Sein; es wird an der Trennung beider festgehalten. Daß hundert mögliche Taler eingebildet etwas anderes sind als hundert wirkliche, dies ist ein so populärer Gedanke, daß nichts so gute Aufnahme gefunden hat als dies, daß aus dem Begriff nicht zum Sein übergegangen werden könnte; wenn ich mir hundert Taler einbilde, so habe ich sie noch nicht. Ebenso populär kann man sagen: das Einbilden muß man bleiben lassen.
α) Es ist eine bloße Vorstellung, d. h. das bloß Eingebildete ist unwahr; die hundert eingebildeten Taler sind und bleiben eingebildete. Also bei ihnen bleiben, ist ungesunder Menschenverstand, er taugt nichts; und dies ist ein eitler Mensch, der sich mit solchen Einbildungen und Wünschen herumtreibt. Hat man soviel Mut, hundert Taler zu haben, so hat man sie nur als wirkliche. Will man hundert Taler besitzen, so muß man Hand ans Werk legen, um sie in Besitz zu bekommen; d. h. man muß über die Einbildung hinausgehen, nicht bei ihr stehenbleiben. Dieses Subjektive ist nicht das Letzte, Absolute; das Wahre ist das, was nicht bloß ein Subjektives ist. Besitze ich hundert Taler, so habe ich sie im Besitz und stelle sie mir auch zugleich vor. Nach der Kantischen Vorstellung wird bei dem Unterschiede stehengeblieben, der Dualismus ist das Letzte; jede Seite für sich gilt als etwas Absolutes. Dies ist das Schlechte, was hier das Absolute und Letzte sein soll. Dagegen ist der gesunde Menschenverstand gerichtet; jedes gemeine Bewußtsein ist darüber hinaus, jede Handlung will eine Vorstellung (Subjektives) aufheben und zu einem Objektiven machen. So töricht ist kein Mensch als jene Philosophie; wenn ihn hungert, so stellt er sich nicht Speisen vor, sondern macht, daß er satt wird. Alle Tätigkeit ist Vorstellung, die noch nicht ist, aber als subjektiv aufgehoben wird. Auch die vorgestellten hundert Taler werden zu wirklichen und die wirklichen zu vorgestellten, - durch äußere Umstände; das ist oft Erfahrung, dies ist ihr Schicksal; es hängt von ganz äußerlichen Bedingungen ab, ob hundert Taler mein Eigentum werden oder nicht.
β) Allerdings, die Vorstellung tut's nicht, wenn ich hartnäckig darin steckenbleibe; ich kann mir einbilden, was ich will, darum ist es nicht. Es kommt nur darauf an, was ich mir vorstelle: ob ich das Subjektive und das Sein denke oder begreife; dann gehen sie über. Descartes behauptet ausdrücklich nur beim Begriffe Gottes jene Einheit (eben das ist Gott) und spricht von keinen hundert Talern; sie sind nicht eine Existenz, die Begriff an ihr selbst ist. Eben absolut hebt sich jener Gegensatz auf, d. h. das Endliche vergeht; er gilt nur in der Philosophie der Endlichkeit. Denken, Begriff ist notwendig dies, daß er nicht subjektiv bleibt, sondern dies Subjektive baß aufhebt und sich als objektiv zeigt. Wenn die Existenz nicht begriffen wird, so ist das das begrifflose, sinnliche Wahrgenommene; und das Begrifflose ist allerdings kein Begriff, - so Empfinden, in die Hand Nehmen. Solche Existenz hat freilich das Absolute, das Wesen nicht; oder solche Existenz hat keine Wahrheit, sie ist nur verschwindendes Moment. Dies Leeres-Stroh-Dreschen mit dem leeren, ganz kornlosen Stroh der gewöhnlichen Logik heißt Philosophieren.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie
>>>
Sein und Nichtsein ist dasselbe; also ist es dasselbe, ob ich bin oder nicht bin, ob dieses Haus ist oder nicht ist, ob diese hundert Taler in meinem Vermögenszustand sind oder nicht. - Dieser Schluß oder Anwendung jenes Satzes verändert dessen Sinn vollkommen
.Georg Wilhelm Friedrich Hegel Die Wissenschaft der Logik Erster Teil. Die objektive Logik Erstes Buch. Die Lehre vom Sein
>>>
So sagt Kant z. B., wenn wir uns 100 Taler denken, so schließt diese Vorstellung noch nicht das Sein in sich; und das ist richtig. Was nur vorgestellt ist, ist nicht, ist aber auch kein wahrhafter Inhalt. Ein Gedachtes, dessen Inhalt das Denken selbst ist, ist eben dies, sich zum Sein zu bestimmen; was nicht ist, ist nur unwahre Vorstellung. Davon ist aber hier nicht die Rede, sondern von dem reinen Denken; es ist dies auch gar keine Neuigkeit, daß sie verschieden sind, - das wußte Anselm ebensogut. - Gott ist das Unendliche, wie Leib und Seele, Sein und Gedanken auf ewig verbunden sind; dies ist die spekulative, wahrhafte Definition von Gott. Dem Beweise, den Kant kritisiert, so wie es noch jetzt nach seiner Art gang und gäbe ist, fehlt nur die Einsicht in die Einheit des Denkens und Seins beim Unendlichen.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie
>>>
|