“Eine andere Weise der Haltungslosigkeit des Charakters hat sich besonders in neueren deutschen Produktionen zu der inneren Schwäche der Empfindsamkeit ausgebildet, welche lange genug in Deutschland regiert hat. Als nächstes berühmtes Beispiel ist der Werther anzuführen, ein durchweg krankhafter Charakter, ohne Kraft, sich über den Eigensinn seiner Liebe erheben zu können. Was ihn interessant macht, ist die Leidenschaft und Schönheit der Empfindung, die Verschwisterung mit der Natur bei der Ausbildung und Weiche des Gemüts. Diese Schwäche hat später bei immer steigender Vertiefung in die gehaltlose Subjektivität der eigenen Persönlichkeit noch mannigfach andere Formen angenommen. Die Schönseelischkeit z. B. Jacobis in seinem Woldemar läßt sich hierher rechnen. In diesem Roman zeigt sich die vorgelogene Herrlichkeit des Gemüts, die selbsttäuschende Vorspieglung der eigenen Tugend und Vortrefflichkeit im vollsten Maße. Es ist eine Hoheit und Göttlichkeit der Seele, welche zur Wirklichkeit nach allen Seiten hin in ein schiefes Verhältnis tritt und, die Schwäche, den echten Gehalt der vorhandenen Welt nicht ertragen und verarbeiten zu können, vor sich selbst durch die Vornehmheit versteckt, in welcher sie alles als ihrer nicht würdig von sich ablehnt. Denn auch für die wahrhaft sittlichen Interessen und gediegenen Zwecke des Lebens ist solch eine schöne Seele nicht offen, sondern spinnt sich in sich selber ein und lebt und webt nur in ihren subjektivsten religiösen und moralischen Ausheckungen. Zu diesem inneren Enthusiasmus für die eigene überschwengliche Trefflichkeit, mit welcher sie vor sich selber ein großes Gepränge macht, gesellt sich dann sogleich eine unendliche Empfindlichkeit in betreff auf alle übrigen, welche diese einsame Schönheit in jedem Momente erraten, verstehen, verehren sollen. Können das nun die anderen nicht, so wird gleich das ganze Gemüt im tiefsten bewegt und unendlich verletzt. Da ist mit einem Male die ganze Menschheit, alle Freundschaft, alle Liebe hin.“
Georg Wilhelm Friedrich Hegel Vorlesungen über die Ästhetik c. Der Charakter >>>
Diese Sehnsucht einer schönen Seele stellt sich in Novalis' Schriften dar. Diese Subjektivität bleibt Sehnsucht, kommt nicht zum Substantiellen, verglimmt in sich und hält sich auf diesem Standpunkt fest ...
Georg Wilhelm Friedrich Hegel Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie >>>
... Der hohle Gegenstand, den es sich erzeugt, erfüllt es daher nur mit dem Bewußtsein der Leerheit; sein Tun ist das Sehnen, das in dem Werden seiner selbst zum wesenlosen Gegenstande sich nur verliert, und über diesen Verlust hinaus und zurück zu sich fallend, sich nur als verlornes findet; - in dieser durchsichtigen Reinheit seiner Momente eine unglückliche sogenannte schöne Seele, verglimmt sie in sich, und schwindet als ein gestaltloser Dunst, der sich in Luft auflöst. ... ... Insofern nun der seiner selbst gewisse Geist, als schöne Seele, nicht die Kraft der Entäußerung des an sich haltenden Wissens ihrer selbst besitzt, kann sie nicht zur Gleichheit mit dem zurückgestoßnen Bewußtsein und also nicht zur angeschauten Einheit ihrer selbst im Andern, nicht zum Dasein gelangen; die Gleichheit kommt daher nur negativ, als ein geistloses Sein, zustande. Die wirklichkeitslose schöne Seele, in dem Widerspruche ihres reinen Selbsts und der Notwendigkeit desselben, sich zum Sein zu entäußern und in Wirklichkeit umzuschlagen, in der Unmittelbarkeit dieses festgehaltnen Gegensatzes - einer Unmittelbarkeit, die allein die Mitte und Versöhnung des auf seine reine Abstraktion gesteigerten Gegensatzes, und die reines Sein oder das leere Nichts ist - ist also als Bewußtsein dieses Widerspruches in seiner unversöhnten Unmittelbarkeit zur Verrücktheit zerrüttet, und zerfließt in sehnsüchtiger Schwindsucht. ...
Georg Wilhelm Friedrich Hegel Phänomenologie des Geistes (1807) Das Gewissen, die schöne Seele, das Böse und seine Verzeihung >>>
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